Newsletter 74

07/2016

Gelungener Einstieg zum Weltgebetstag in Sondershausen

Vorbereitungsabend zum Weltgebetstag
Lebendige Ökumene erlebten die BesucherInnen am 24. Februar im katholischen Gemeindehaus in Sondershausen.

Es wurden nicht nur die Fotos und Texte über Kuba vorgetragen, sondern auch Gemeinschaft erlebt bei Gesang, Tanz und Verkostung von Bananenplätzchen, Caipirinha (alkoholfrei) und Zitronenlimonade. Auch vom sozialpsychiatrischen Zentrum „Stift“ waren Teilnehmerinnen mit Begeisterung dabei.

Wir freuen uns auf den Weltgebetstag am Freitag 18 Uhr im Trinitatissaal mit anschließendem gemeinsamen Essen. Das hat als ökumenischer Höhepunkt in Sondershausen schon Tradition.

Uta Köstler
Fotos Jana Groß

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Hass vs. Mitmenschlichkeit

Wohl kaum ein Thema spaltet die Öffentlichkeit derzeit so sehr wie die Frage des richtigen Umgangs mit den Flüchtlingen in Deutschland. Gibt es keinen Lichtblick, keine einfache und plausible Lösung?

Nein, es gibt sie (leider) nicht und das ist genau die Crux.
Weil wir seit Jahrzehnten allesamt direkt und/oder indirekt mit dafür sorgen, dass sich jetzt diese Menschen auf den Weg machen, muss wohl auch mit ebensolchen Zeiträumen für eine wirkliche Lösung gerechnet werden.

Moment mal, wieso wir tragen Mitschuld an der Migration?
Das einzugestehen ist nicht einfach, deshalb sollen es drei Beispiele illustrieren. Die Beispiele sind unbequem, hinterfragen uns und unser tägliches Verhalten und tragen in ihrer Gesamtheit dazu bei, dass sich Lebensverhältnisse auf der Welt so extrem verändern, dass es zu diesem Exodus von Menschen nach Europa kommt. Doch zu den Beispielen, den Kleinen wie Großen:
1. Wer der geschickten Werbung auf den Leim geht, dass die Mode nur ein Jahr taugt und dann dem neuesten hippen Trend zu folgen ist, fördert direkt die Billigproduktion in 2/3 der Welt. Diese geschieht nicht umwelt- und sozialverträglich, nutzt Menschen aus, entzieht ihnen die Lebensgrundlage und die Perspektive. Ähnlich den Bremer Stadtmusikanten sagen diese Menschen dann: „Lasst uns wo anders hingehen, denn etwas Besseres als den Tod findest Du überall.“ Mit unserem Kaufverhalten unterstützen wir direkt die Perspektive von Menschen, in ihrem Land zu bleiben. Ich weiß, dass es noch viel diffiziler ist und wir auch sagen müssen, durch die dort geschaffenen Arbeitsplätze werden die Menschen unterstützt. Jedoch sind Arbeitsplätze, die nicht genug zum Überleben verdienen lassen, die 10-16 Stunden-Arbeitstage in abgeschlossenen Räumen bedeuten keine wirkliche Unterstützung. Die uns in Fleisch und Blut übergegangene Mentalität „viel von Allem, aber billig“ trägt zur Verschärfung von Umweltproblemen und damit direkt zum Anschwellen der Flüchtlingsströme bei. Wer hier anfängt umzudenken, der sorgt mit dafür, dass die Lebensverhältnisse in Afrika und Asien so bleiben, dass Menschen Ihre Lebensgrundlage dort finden.
2. Wer mit seinem Auto Innerorts Strecken von 100 Metern bis zu drei Kilometer mit dem Auto fährt und nicht zu Fuß läuft oder sie per Rad zurücklegt (natürlich ohne schweres Gepäck zu haben), meint auf die sonntäglichen Brötchen (die wir auch aufbacken könnten und die ebenso frisch wären und der Verkäuferin ebenso einen freien Sonntag bescherten) nicht verzichten zu können, wer sein Laub ohrenbetäubend laut auf einen Haufen bläst oder einsaugt, statt den Rechen zu nehmen, der lädt damit direkt Schuld auf sich. Unser Umgang mit den Ressourcen dieser Erde ist nicht zukunftsorientiert. Weil sich durch die Erderwärmung, bedingt durch solche Verschwendung, die Lebensgrundlagen der Menschen in Afrika und Asien so grundlegend zum Schlechteren wandeln, machen sie sich auf den Weg zu uns. Es ließen sich Unmengen von unsinnigen Energieverschwendungsszenarien darstellen: z.B. Heizpilze im Winter, damit Raucher bei Minusgraden im T-Shirt vor der Tür rauchen können u.ä.
3. Jeder Arbeitsplatz, der in Deutschland entsteht, ist zu begrüßen. Die Industrie sucht händeringend Arbeiter auf freien Stellen. Ist aber jede Arbeit zukunftsorientiert? All die Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie sorgen mit dafür, dass Kriege ausgetragen und damit Gründe für Flucht entstehen. Es gilt (überspitzt) abzuwägen: ist ein Arbeitsplatz weniger oder 100.000 Flüchtlinge mehr die größere Herausforderung? Die deutschen Waffen in den Kriegsgebieten sind eine direkte Ursache für Flucht zu uns.

Wenn wir also festhalten, dass wir (in)direkt mit Schuld an der Flucht dieser bedauernswerten Menschen tragen, dann wird der allfälligen Empörungsgemengelage ein wenig die Grundlage entzogen. Wir können nicht sagen, „diese Wirtschaftsflüchtlinge“ sondern wir müssen sagen: „diese Menschen, die fliehen müssen weil wir so leben wie wir leben, z.T. auf ihre Kosten.“ Das sollte uns nüchterner, sachlicher und vor allem mitmenschlicher machen.

Stattdessen ist gestern etwas passiert, was nicht nach Nüchternheit und Sachlichkeit und vor allem nicht nach Mitmenschlichkeit klingt. In Leipzig wurde auf dem Baugelände der Ahmadiyya-Gemeinde ein totes Ferkel abgelegt, das symbolisch beschriftet wurde und den „Hass-Namen“ für unsere Kanzlerin trug. Oder.
Menschen, die vorgeben, die Werte des Abendlandes zu verteidigen, bedrängten Flüchtlinge in einem Bus in Clausnitz (Sachsen). Sie, die unter großen Strapazen einem Krieg in ihrer Heimat trotzten und dann doch fliehen mussten (wir alle haben doch die Ruinen von Homs im Fernsehen gesehen und wissen, dass dort niemand mehr leben kann), erleben hier wieder Hass und Gewalt. Sie hören dabei, dass diese Pöbler das Volk seien. Ich könnte ihnen nicht verdenken, wenn Sie fragten, was das für ein Volk ist? Wer will zu solch einem Volk gehören? Ist das das Land der Dichter und Denker, der geistigen und geistlichen Größen und Komponisten, das Land eines Immanuel Kant und eines Meister Eckart? Diese Menschen gehören sicher auch zum Volk der Deutschen, aber sie repräsentieren uns (hoffentlich!) nicht.

Wohin uns solches Denken führte, hat die Zeit von 1933-45 gelehrt. Wir haben lange gebraucht, um uns wieder eine Reputation in der Welt aufzubauen, die diese Schreihälse so schnell zu verspielen drohen.
In Dresden gehen die Touristenzahlen zurück, internationale Firmen ziehen, dem Vernehmen nach, Aufträge ein, weil sie keine rassistischen Systeme befördern wollen. PEGIDA & Co vernichten durch ihr Handeln Arbeitsplätze und viele laufen (gedankenlos?) mit.

Eine besorgniserregende Entwicklung, weil sie auch den Menschen schadet, die die Mehrheit bilden, die versuchen, die schwierige Situation zu verstehen und nach Lösungen zu suchen. Die aberwitzige Idee, Kontingente und Mauern könnten eine ernsthafte Lösung sein, ist inzwischen salonfähig und schließt einen Gedanken vorsorglich aus. Was ist, wenn die Menschen jenseits der Zäune so zahlreich werden, dass sie die Zäune eindrücken? Sollen sie dann erschossen werden? Frau Petry und Frau von Storch halten das ja für geboten, aber wollen wir wirklich, dass unsere Soldaten dazu gezwungen werden, gut 70 Jahren nach dem letzten verheerenden Krieg?

Es muss endlich Solidarität gelebt werden und Mitmenschlichkeit. Wenn wir miteinander teilen und in unserem täglichen Handeln an die mitunter weit entfernten Konsequenzen denken, dann ist der Anfang gemacht.
Deutschland kann dieses Problem nicht allein lösen. Den Menschen muss aktuell hier und vor allem in Ihren Herkunftsländern geholfen werden. Daran werden wir uns messen lassen müssen. Das wäre ein Erweis unserer Mitmenschlichkeit.

In Artern ist gerade der syrische Arzt Wasem Romeih dabei, sich auf seine medizinischen Prüfungen in Deutschland vorzubereiten, obwohl er in Syrien (in Daraa) schon lange praktizierte. Wenn er als Arzt einem dieser Schreihälse das Leben rettete, würde sich dieser dann nicht sein Leben lang für sein Geschrei schämen müssen? Wie könnte er damit leben?

Niemand sagt, es ist einfach; die Probleme sind gravierend. Doch fallen wir nicht auf Demagogen herein, deren scheinbare Lösungslogik unser Land schon einmal verwüstet hat. Es gibt leider keine einfachen Lösungen. Die sachliche Suche nach Problemlösungen abseits vom „Schwarzer Peter“- Niveau ist der einzige Weg und wäre ein Lichtblick für uns und unsere Gesellschaft. Bitte bringen Sie sich ein. Deutschland hat schon so oft bewiesen, dass es Probleme lösen kann. Der Satz von Frau Merkel stimmt jeden Tag neu: „Wir schaffen das!“ Aber nur wenn niemand abseits steht sondern alle in Europa anpacken. Alle Kraft, die beim (Nieder)Schreien vergeudet wird, kann schon der Suche von Lösungen dienen. Dann erblicken wir ein Licht. Dann gibt es Mitmenschlichkeit statt Hass.
Kristóf Bálint, Superintendent

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