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25.02.2023
Das eigene Leben betrachten
„Herr Pfarrer, fasten Sie auch? Und, wenn ja: Auf was verzichten Sie denn?“, so oder so ähnlich bin ich den letzten Wochen erstaunlich oft gefragt worden – und erstaublich oft waren es Menschen, die längst nicht mehr zur Kirche gehen, sich nicht mehr mit dem christlichen Glauben verbunden fühlen.
Ich gestehe es: Ich faste nicht. Zumindest nicht so, dass ich auf Alkohol, Süßigkeiten oder andere Genüsse verzichten würde. Ich faste nicht, weil nicht verzichten wollte, sondern weil mir der Sinn der ganzen Übung bisher verschlossen geblieben ist. Es ist ähnlich wie mit den guten Vorsätzen zum Neuen Jahr: Da nimmt man sich etwas vor und schon wenige Tage später, ist man wieder im alten Trott.
Fasten ist populär – weit über kirchliche Kreise hinaus. Viele Menschen nutzen die Gelegenheit, sich für ein paar Wochen im Verzicht zu üben. Zu schauen, wie sich das Leben verändert, wenn ich Liebgewonnes weglasse. Sich selbst zu testen, wie lange ich standhaft bleibe. Ob ich durchhalte oder eben nicht. Fasten als Selbstkontrolle. Daneben noch der gesundheitliche Aspekt: Den Körper mal entgiften. Eine Pause machen vom Überfluss. Sich mit sich selbst und mit existentiellen Fragen zu beschäftigen: Was brauche ich wirklich? Was kann weg?
Ich faste nicht und doch kann das Anliegen des Fastens verstehen – und zwar in all seinen Facetten: Selbstsorge ist wichtig. Auch die Selbstkontrolle und sich mit der Frage zu beschäftigen, was mein Leben im Innersten zusammenhält und trägt, kann auch nie schaden.
Und deshalb will ich Sie heute ermutigen: Nutzen Sie die Wochen bis Ostern, ihr Leben in den Blick zu nehmen. Egal ob Sie fasten, auf etwas Verzichten oder nicht. Üben Sie sich in den nächsten Wochen in der Betrachtung Ihres Lebens. Und zwar in kleinen Ritualen. Wie wäre es: Fünf Minuten innehalten. Am Morgen vor dem Spiegel im Bad oder abends bei einer Tasse Tee (oder einem guten Rotwein). Innehalten, still werden und sich Fragen stellen:
Was treibt mich an?
Was ist gut in meinem Leben?
Was belastet mich?
Worauf kann ich bauen?
Was macht mich glücklich?
Was drückt mich nieder?
Wovor habe ich Angst?
Was muss anders werden?
Was kann ich tun, damit es anders wird?
Solche und viele andere Fragen verdrängen wir gerne. Weil sie unbequem sind. Weil wir meinen für solche Grübeleien keine Zeit zu haben. Weil es einfacher scheint im Immergleichen zu verharren. Veränderungen brauchen Kraft. Beharren ist leichter. Aber, ich bin fest überzeugt, dass eine solche Bestandaufnahme des eigenen Lebens wichtig ist – von Zeit zu Zeit.
Der Grund warum wir in den nächsten Wochen feiern, ist die biblische Geschichte vom Leiden und Sterben Jesu. Eine grausame Geschichte, die in der Katastrophe endet: Dem Tod eines Unschuldigen. Viele Menschen halten diese Geschichte für barbarisch und aus der Zeit gefallen. Aber auch hier: Es ist lohnend sich mit ihr zu beschäftigen. Denn sie steckt voller Leben: Verrat und Freundschaft, Leidenschaft und Versuchung, Schuld und Vergebung, Tod und Leben und so vieles mehr. Die Geschichte von der Passion Jesu nimmt unser Leben in den Blick in all seinen Facetten. Die Geschichte regt dazu an, das eigene Leben zu hinterfragen, Korrekturen vorzunehmen und einzutauchen in Fragen, denen du sonst lieber aus dem Wege gehst. Die Beschäftigung mit diesen Fragen mag unbequem sein. Aber Sie lohnt sich, weil du soviel Neues und Wichtiges entdecken kannst.
Also: egal ob Sie selbst fasten oder nicht, nehmen Sie sich in den nächsten Wochen Momente der Ruhe und schauen Sie, was Sie für sich persönlich entdecken – an Einsichten und neuen Perspektiven für das eigene Leben. Ich glaube, dass es im Leben solche Zeiten braucht. Zeiten der Bestandsaufnahme, der Introspektion, der Kurskorrektur. Veränderung ist anstrengend, aber sie ist lohnenswerter als das beharrliche Austrampeln alter Pfade. Die Passions- und Fastenzeit lädt genau dazu ein. Probieren Sie es und wer weiß, was Sie auf dieser Reise entdecken.
Ein gesegnetes Wochenende wünscht
Pfarrer Karl Weber (Sondershausen)